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Kintsugi - von der alten japanischen Tradition des "Goldflickens"
Schon mal von Kintsugi gehört?
Bei einem Kongress für Familien in Italien wurde Anfang dieses Jahres ein spannendes Thema gebracht: Kintsugi, eine alte japanische Tradition, die „Kaputtes“ nicht nur wiederherstellt, sondern dabei auch noch verschönert. Mir gefällt dieser Ansatz so gut, dass ich Auszüge aus diesem Vortrag bringen möchte: „Wenn die Japaner ein kaputtgegangenes Gefäß reparieren, würdigen sie die Bruchstelle, indem sie den Spalt mit Gold auffüllen. Sie glauben, dass eine Sache, die verwundet worden ist und eine Geschichte hat, schöner wird. Diese Technik wird „Kintsugi“ genannt. Gold statt Kleber. Wertvolles Metall statt einer durchsichtigen Substanz. Und darin besteht der Unterschied: Soll man die verloren gegangene Ganzheit verbergen oder die Geschichte der Wiederherstellung hervorheben?
Wer im „Westen“ lebt, hat seine liebe Not mit Brüchen. Riss, Bruch, Wunden werden als mechanistischer Effekt einer Schuld wahrgenommen, weil unser digitales Denken uns dazu erzieht immer nur eine mögliche Gabelung zu nehmen: Entweder ist eine Sache intakt oder sie ist kaputt. Und wenn sie kaputt ist, muss jemand schuld daran sein. Das analoge, archaische, mythische und symbolische Denken hingegen lehnt die Zweiteilung ab und bringt uns zur Vereinbarkeit der Gegensätze, die keine mehr sind im beständigen Fließen und Durchdringen des Lebens.
Das Leben ist Ganzheit und Bruch zugleich, weil es beständige und unaufhörliche Zusammenfügung ist. Der Schmerz gehört zum Leben. Gelegenhtlich nimmt er einen großen Teil des Lebens in Anspruch, dann wieder nicht, aber in beiden Fällen gehört er zum großen Puzzle, zur tiefen Musik, zum großen Spiel. Der Schmerz bewirkt zweierlei: Er lehrt dich und er sagt dir, dass du lebst, dann vergeht er und hinterlässt dich verwandelt, weiser, gelegentlich auch stärker. In jedem Fall hinterlässt er Spuren und alles, was an Bedeutsamen in deinem Leben geschehen mag, wird er in der einen oder anderen Weise mit sich bringen. Die Japaner, die das Kintsugi erfunden haben, wussten das schon vor mehr als sechs Jahrhunderten und sie erinnern uns daran, in dem sie es in Gold hervorheben.“
Welch schöner Gedanke. Vielleicht lässt Gott schwierige Situationen zu, weil er uns damit „veredeln“ will. Ein zugegeben nicht ganz leichter Ansatz, vor allem wenn man in der Situation steckt. Aber rückblickend betrachtet möchte ich die schwierigen Situationen meines Lebens nicht missen, denn sie haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Diamanten entstehen unter hohem Druck. Vielleicht trifft das auch auf den menschlichen Charakter zu.